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Katholisch und queer – zwischen Religion und sexueller Orientierung

Im Jahr 2022 dürfte das Thema der sexuellen Identität eigentlich keine Streitfrage mehr sein und doch gibt es gerade innerhalb vieler kirchlich geleiteter Organisationen und streng-christlichen Umfelder immer noch einen großen Widerstand, was die volle Akzeptanz nicht-heterosexueller Orientierungen angeht. Für Mitarbeiter:innen, die sich als nicht-heterosexuell identifizieren, ist eine Stelle unter der Kirche als Arbeitgeber sehr unsicher. Entweder die eigene sexuelle Neigung wird geheim gehalten oder man muss mit der ständigen Angst leben, gekündigt oder öffentlich zurechtgewiesen zu werden. Es ist ein diskriminierendes System.

queer

Ein System, das sich nur schwer ändern lässt, denn in Deutschland gilt für Kirchen zu einem Großteil das Selbstbestimmungsrecht, auch was das Arbeitsrecht angeht. Danach ist es katholischen Einrichtungen erlaubt, ihre Mitarbeitenden Bestimmungen unterzeichnen zu lassen, die queeren Menschen das offene Bekenntnis zu ihrer Identität verbietet und weit in deren Privatsphäre eindringt. Anfang des Jahres kam es deshalb zu einer Demonstration unter dem Namen “Out in Church”. Über 100 Gläubige fanden zusammen, um “gegen die arbeitsrechtlichen Bestimmungen und ein intransparentes System zu protestieren, das Willkür und Drohungen gegen die Mitarbeitenden ermöglicht”, wie die Tagesschau-Journalist*innen Hajo Seppelt und Katharina Kühn berichteten.

Gezwungene Selbstverleugnung oder offenes Bekenntnis?

Doch die subtile Diskriminierung queerer Christ:innen lässt sich nur schwer vollkommen bekämpfen. Auch für Menschen, deren Karriere nicht direkt von ihrer sexuellen Orientierung beeinflusst wird, ist es nicht offensichtlich, dass sich ihre eigene sexuelle Identität problemlos mit ihrem Glauben vereinen lässt. In ihrem Buch “Nicht mehr schweigen” befassen sich Herausgeber Timo Platte zusammen mit den Co-Autor:innen des Werks mit der Frage, mit welchen Ängsten und Hürden homosexuelle und/oder transidente Personen, die sich gleichzeitig als Christ:innen bekennen, zu kämpfen haben und wie sie, trotz leidvoller Erfahrungen, an ihrem Glauben festhalten.

Sie schreiben davon, wie schwer es ist, ständig das Gefühl zu haben, nicht sie selbst sein zu dürfen, davon überzeugt zu sein, etwas falsch zu tun und bewusst gegen christliche Normen zu verstoßen. Davon, immer in der Angst leben zu müssen, alles zu verlieren, das ihnen etwas bedeutet. Von ihrem ständigen Kampf mit Verdrängung, Lügen und Einsamkeit und dem langen Prozess, den es gebraucht hat (und manchmal immer noch braucht), da wieder herauszufinden. Für die meisten dieser Menschen hat es viel gebraucht, um an dem Punkt anzugelangen, offen über ihre Gefühle, die Verzweiflung und den Schmerz zu reden.

Ein offenes Ohr füreinander haben

Gerade deshalb heben die Autor:innen des Buches auch hervor, wie wichtig es ist, einander zuzuhören. Dass jeder einem zuhören will, ist aber nicht garantiert. Die Schweizer Autorin Damaris Kofmehl schreibt davon, wie schwer es für sie und ihren Mann war, sich dazu zu überwinden, offen über das Homosexuell- und Christsein zu sprechen, wie viel Widerstand und offenen Hass sie zunächst erfahren und wie oft sie sich die typischen Argumente anhören mussten, Homosexualität wäre eine Wahl, eine Sünde oder eine Krankheit. Und doch ließen ihnen die Hilfeschreie der vielen ungehörten Opfer sexueller Diskriminierung keine Ruhe. Dass das Thema so wichtig ist, zeigte die große positive Reaktion, die Anteilnahme und die Dankbarkeit, die den beiden entgegengebracht wurde, als sie vor einem vollen Saal zusammen mit queeren Sprecher:innen über sexuelle Identität im Christentum sprachen.

Der Umgang mit dem eigenen Glauben sowie der eigenen sexuellen Orientierung ist etwas sehr Persönliches und Privates. So kommt es auch, dass nicht jede:r die beiden Dinge problemlos in sich vereinen kann. Für viele queere Menschen, die sich ursprünglich als Christen bekannten, wurden die schlechten Erfahrungen innerhalb ihres religiösen Umfelds und die Enttäuschung darüber, wie wenig Toleranz und Akzeptanz ihnen entgegengebracht wurden, zu groß, um weiterhin an ihrem Glauben festhalten zu können. Für andere fand ein Prozess der Umorientierung, Identitätssuche, Konfrontation und Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrem Glauben statt. Gerade die Selbstakzeptanz ist neben der Akzeptanz von außen etwas, mit dem viele queere Menschen immer noch zu kämpfen haben. Der Weg hin zur Erkenntnis, dass Gottes Liebe kein Aber kennt, ist manchmal nicht so leicht, wie er sich anhört. Deshalb ist es auch so wichtig, offen über die Hürden und Diskriminierung als queere:r Gläubige:r zu sprechen und ihnen nicht nur eine Stimme, sondern auch ein offenes Ohr und Herz zu geben.

Wenn Sie mehr über das Thema Queerness und Religion erfahren wollen und gerne direkt über die Erfahrungen betroffener Menschen lesen möchten, empfehlen wir Ihnen einen Blick in das Buch “Nicht mehr schweigen”, herausgegeben und mitgeschrieben von Timo Platte.

Über die Autor:innen

Alle Autorinnen und Autoren dieses Buches bleiben aus persönlichen Gründen anonym. Es werden ausschließlich Vornamen oder Pseudonyme genannt. Die meisten von ihnen kommen aus dem christlich-konservativen Umfeld und haben durch die Initiative Zwischenraum e. V. zueinandergefunden.
Timo Platte hat sich viele Jahre als diakonischer Begleiter in der Straffälligenhilfe engagiert. Seit 2006 arbeitet er als Grafikdesigner in Wuppertal. Als Herausgeber und Mitautor dieses Buches möchte er Menschen herausfordern, sich ergebnisoffen mit Homo-, Bi- und Transsexualität auseinanderzusetzen.

queer nicht mehr schweigen

Timo Platte

Nicht mehr schweigen

Der lange Weg queerer Christinnen und Christen zu einem authentischem Leben

1.Auflage 2019

ISBN: 978-3-96409-075-1

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