Daisy von Pless – Ihre Kindheit, ein Wildfang

Eine völlig unbeschwerte Kindheit auf dem Lande in Wald prägte die Kindheit der späteren Fürstin Pless. Daisy wuchs mit zwei Geschwistern auf, frei und unbeschwert, ohne strenge Konventionen, wie sie damals in Europa üblich waren. Sie war ein ‚Wildfang‘:

Pless Kindheit

Niemand kann eine glücklichere, freiere, fröhlichere Jugend gehabt haben als wir, mein Bruder George, meine Schwester Shelagh und ich, in dem romantischen Ruthin Castle in North Wales, und vor allem in dem geliebten Newlands in Hampshire — aber die meinige enthielt doch auch einige schreckliche Augenblicke. Ich ließ mir nicht gern sagen, daß ich häßlich sei, niemand läßt sich das gern sagen, auch Knaben nicht — nicht einmal Männer, wie ich später merkte. Vielleicht sollte ich hier einige Worte einschalten, um zu erklären, wer wir waren. Ich will mich nicht lange mit der langweiligen Ahnengeschichte aufhalten, von der ich übrigens selber nie viel verstanden habe. Dieser Mangel machte sich später fühlbar, als ich eine deutsche Fürstin wurde und mir genau merken musste, wie jedes Glied der zwanzig deutschen regierenden Häuser mit den übrigen verwandt war, und in welcher Reihenfolge sie zu Tisch gehen mussten. (…) Der einzige Ahne, für den ich mich als Kind sehr interessierte, war Thomas, der zweite Baron West, der bei Crecy die Krone des Königs von Frankreich ergrifen und dem Schwarzen Prinzen mit dem ritterlichen Ausruf überreicht haben soll: „Jour de ma vie!“, was bis zum heutigen Tage der Wahlspruch der Familie geblieben ist.

Die Familie

(…) George, mein einziger Bruder, ist der Major George Frederick Myddleton Cornwallis-West, in der Familie als Buzzie bekannt. Ich wurde Mary Theresa Olivia getauft, aber alle nannten mich Daisy oder, im engsten Familienkreise, Dany: ich habe mich selbst so genannt, als ich noch nicht richtig sprechen konnte, und meine nächsten Angehörigen nannten mich immer so. Meine Schwester heißt Constance Edwina, und ihr Kosename ist Shelagh oder Biddy. Meinen Vater nannten wir Poppets oder wie es uns gerade durch den Kopf ging; meine Mutter behandelten wir wie eine Schwester und entsetzten unsere Viktorianischen Verwandten — die ungeheuer zahlreich waren — indem wir sie Patsy nannten. Poppets hatte seinen eigenen Kosenamen für sie, er nannte sie Mussie. Ich verstehe, daß heutigentags in England die meisten Kinder ihre Eltern beim Vornamen rufen. Ich sehe nichts Schlimmes darin, obwohl ich gestehen muss, daß mich einmal zwei kleine Bengel, von denen keiner mehr als fünf Jahre alt war, mystifiziert haben, indem sie dauernd von ,,Jane und James“ sprachen. Ich dachte, sie meinten ihre Puppen, Ponys oder Hunde, bis ich eines Tages zu meinem Erstaunen erfuhr, daß es ihre Eltern waren.

Die Schwestern Daisy und Shelagh

Da wir ja persönliche Dinge immer unbekümmert aussprechen, was unsere Viktorianischen Verwandten ebenfalls empört hätte, kann ich wohl ruhig hinzufügen, daß mein Bruder George die Familienschönheit geerbt hatte, und daß die Frauen sich niemals scheuten, ihm zu zeigen, daß er gefiel. Ich fand Shelagh viel schöner als mich. Sie hat die lieblichsten großen, tiefen, dunklen, geheimnisvollen Augen, das kastanienbraune Haar meiner Mutter — jetzt wird es ein äußerst vorteilhaftes Grau —, eine wundervolle Gestalt und den schönen Teint der West. Blaue Augen und reiches goldenes Haar trugen mir dagegen den Namen ein, „die typische englische Schönheit“ zu sein. Ein Etikett, das mir mein ganzes Leben geblieben ist! Ich bin ebenso groß wie Shelagh, tanze besser als sie, konnte aber nie auch nur halb so gut reiten oder Schlittschuhlaufen. Ich reite auch sehr gern und liebe die Pferde, aber Shelagh ist eine ganz unvergleichliche Reiterin. Sie ist gescheiter als ich, kann alles glänzend organisieren und hat ein bemerkenswertes geschäftlihes Talent. Wir verstanden beide, ein großes Haus zu führen, obwohl ich glaube, daß es Shelagh mehr Vergnügen machte als mir.

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