Rauschend über Strand und Dünen auf unsichtbaren Wegen von geheimnisvollen Mächten beschützend umgeben Im sanften Auftrieb der Winde gleitend den Himmel zu fühlen endlose Weiten Hoch höher noch höher hinaus der Sonne dem Licht der Freiheit entgegen grenzenlos schweben |
Sturmerprobt über wogende Meere kraftvolle Wellen schäumende Gischt Ihr rauer Ruf nur noch von Ferne sich im Takt wilder Brandungen bricht Träumend sehe ich ihr nach wie sie im tiefen Abendrot scheinbar sich auflöst in Nichts |
Seit Urzeiten beobachtet der Mensch den Flug der Möwe, ihr Gleiten über Wasseroberflächen, ihr Wiegen im Wind und hegt dabei einen geheimen Wunsch. Den Wunsch nach Freiheit, danach ebenfalls sorglos in die Ferne fliegen zu können, alles zurückzulassen und über die Grenzen des Alltags hinweg am Horizont entlang in das Abendrot zu schweben. Auch deshalb gelten Möwen als Symbol für Freiheit und Sehnsüchte. Sie stehen als Totem für all diejenigen, die sich am liebsten mal von allen irdischen Zwängen befreien würden, um ziellos und nichts tuend vor sich hinleben zu können.
Aber die Möwe steht nicht nur für die Sehnsucht nach Freiheit und den weiten, offenen Himmel, sondern auch für das Meer. Die Möwe wird als Vogel der See verstanden und als eng mit dem Meer verbunden. Diese besondere Beziehung zur See, gab dem Tier auch seine mystische Bedeutung als Seelenträger von Seefahrern. In manchen Teilen der Welt sieht man in ihnen die Reinkarnation verstorbener Seefahrer oder böser Kapitäne. Dies bedeutete, dass Möwen möglichst mit Ehrfurcht behandelt wurden. Das Töten dieser Vögel könnte großes Unheil herbeiführen und für den eigenen Tod auf See sorgen. Die Verbindung zwischen Möwen und dem Meer, zeigt sich auch in ihrer Namensgebung. Ihr englischer Name lässt sich aus dem bretonischen Wort für „die Gellenden“ herleiten. Der Vogel steht also auch für den Schrei oder Ruf der See. In ihrem Flug lässt sich zudem die ewige Bewegung des Wassers wiederfinden. Für Seeleute wurde das Tier aber nicht nur symbolisch als Teil der See gesehen. Es galt auch als nützlicher Fang- und Wettervorhersager.
Die Möwe als Bote
In der Bretagne wurden Möwen allerdings noch mit einer anderen Bedeutung versehen. Dort galten sie als „als magische Helfer, welche die Frauen anriefen, damit sie ihren Männern auf See beistünden“, so Cornelia Savory-Deermann [https://bit.ly/3LrgzzK]. Sie bekamen also auch eine romantische Symbolik, die eines Boten zwischen Liebenden. Doch damit war es noch lange nicht mit den vielen Legenden und Assoziationen, die um die Möwe kursieren. Die Aggressivität des Vogels, so wie sein häufiges Auftreten in Scharen, machten das Tier auch zum Zeichen für Krieger. Gleichzeitig machten verlorene Kriege sie zum Symbol für das Verlorengehen und die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit. Einst das Totem der tapferen Krieger, wird der Vogel hier zum geschlagenen Soldaten, der sich nichts mehr wünscht, als in die Heimat zurückkehren zu können. Die Möwe steht als nicht nur für Fernweh, sondern auch für Heimweh. Auch hier gilt die Möwe also als eine Art Bote zwischen dem verlorenen Ich und der entfernten Heimat.
Ob in Legenden, Gedichten oder Liedern, Möwen zeigen sich immer wieder als sagenumwobene Geschöpfe des Himmels und der See. Welche Bedeutung ihnen zugeordnet wird, unterscheidet sich zwischen Kulturen, Regionen und Generationen. Mal in Mystik gehüllt, mal ein Symbol menschlicher Wünsche, Träume und Begierde, ist der Vogel und die vielen verschiedenen Assoziationen, mit denen er verbunden wird, auch ein Spiegel des Menschen.
Wenn Sie gerne mehr Gedichte von Dr. Wolf-Dietrich von Ohlen lesen möchten, werfen Sie doch mal einen Blick in seinen Gedichtband „Möwe im Abendrot“, worin Sie neben dem oben gezeigten Gedicht zahlreiche weitere finden.