Zwischen mir und der Wand
Meine Zeit als Pflegevater
Pflegeerziehung traumatisierter Kinder
– Joachim Edward Kriegers berührende Einblicke in sein Leben als Pflegevater
Die Erziehung von Pflegekindern ist eine der emotional anspruchsvollsten Aufgaben, die eine Familie auf sich nehmen kann. Sie verlangt Geduld, Einfühlungsvermögen, und oft ein schier unerschöpfliches Reservoir an Liebe und Konsequenz. In seinem autobiografischen Buch „Zwischen mir und der Wand – Meine Zeit als Pflegevater“ gewährt Joachim Edward Krieger einen tiefgreifenden Einblick in das Leben mit einem Pflegekind, das bereits in frühester Kindheit schwer traumatisiert wurde. Ein Buch, das bewegt, nachdenklich stimmt und auf ein oft unterschätztes gesellschaftliches Thema aufmerksam macht.
Ein Kind im Schatten der Vergangenheit
Marcell, der Protagonist des Buches, ist ein Kind, dessen Lebensgeschichte von Anfang an von Vernachlässigung und Entbehrung geprägt ist. Bereits vor seiner Geburt wurde er mit Alkohol konfrontiert – die Diagnose: Alkoholembryopathie. Dazu kam die physische und psychische Vernachlässigung in den ersten Lebensjahren. Stundenlang lag er schreiend allein in seinem Bett; bei Bedarf wurde er sogar mit Alkohol ruhiggestellt. Solche frühkindlichen Traumata hinterlassen tiefe Narben, die nicht nur die Entwicklung, sondern auch das spätere Verhalten massiv beeinflussen.
Der kleine Junge Marcell fordert durch ständige Aufmerksamkeitseinholung seine Umwelt heraus: Ein endloser Redefluss, auffälliges Verhalten, und permanenter Widerstand gegen neue Herausforderungen sind Ausdruck der Überlebensstrategien, die er sich in seiner frühesten Kindheit aneignete. Joachim Edward Krieger und seine Partnerin Hilde treffen die mutige Entscheidung, Marcell in ihr Leben aufzunehmen, nachdem er in einer vorherigen Pflegefamilie erneut abgelehnt wurde. Was folgt, ist ein jahrelanger Kampf für Stabilität, Normalität und schlussendlich Liebe.
Zwischen Liebe und Grenzen – Herausforderungen der Pflegeerziehung
Der Alltag mit einem traumatisierten Pflegekind ist weit davon entfernt, reibungslos zu verlaufen. In seinem Buch beschreibt Joachim Edward Krieger Situationen, die Eltern stark fordern – und die in der Gesellschaft oft missverstanden werden. Ein Beispiel dafür ist Marcells Verhalten im Schwimmbad: Er sucht ständig Bestätigung, indem er anderen Kindern erzählt, die Erwachsenen seien seine Eltern. Für ihn ist das eine tiefere Suche nach Zugehörigkeit und Sicherheit. Ein scheinbar harmloses Verhalten, das die tieferliegenden Unsicherheiten und das Bedürfnis nach Liebe widerspiegelt.
Die ständige Unruhe, die Marcell mitbringt, stellt die Pflegeeltern auf eine harte Probe. Schlaflose Nächte, emotionale Tests der Bindung und das konsequente Austesten von Grenzen erfordern eine klare und starke Haltung. Während viele andere Kinder ihre Entwicklung spielerisch erfahren, muss Marcell oft zu neuen Erfahrungen gezwungen werden. Ob es das Schwimmenlernen ist oder das Spielen mit anderen Kindern – Joachim Krieger erkennt bald, dass Marcell ohne Druck kaum Fortschritte macht.
Die Herausforderungen des Pflegealltags verdeutlichen: Traumatisierte Kinder brauchen nicht nur Liebe, sondern auch klare Strukturen und unnachgiebige Konsequenz. Der Satz „Du hast keine Wahl“ wird in der Erziehung zum Leitprinzip. Hier zeigt das Buch auch, wie die Pflegeeltern immer wieder an ihre eigenen Grenzen stoßen und dennoch weitermachen, aus der tiefen Überzeugung heraus, dass sie für Marcell ein stabiles Zuhause schaffen müssen.
Gesellschaftliche Wahrnehmung von Pflegefamilien
Das Buch „Zwischen mir und der Wand“ beleuchtet auch die außenstehenden Faktoren, die Pflegeeltern zu meistern haben. Die Reaktionen der Gesellschaft sind oft ambivalent: Einerseits erfahren Pflegeeltern Anerkennung für ihre wichtige Aufgabe, andererseits sind sie ständig mit Behörden, Schulen und Nachbarn konfrontiert, die wenig Verständnis für die Besonderheiten traumatisierter Kinder haben. Joachim Krieger beschreibt eindrucksvoll, wie er in der Schule Marcells Verhalten erklären muss, während das Umfeld die Ursachen ignoriert und stattdessen die Pflegeeltern für das Fehlverhalten verantwortlich macht.
Ein besonderer Moment des Buches ist die Eskalation in der Nachbarschaft: Die ablehnende Haltung einiger Bewohner, die spielende Kinder als Belästigung empfinden, verdeutlicht, wie wenig Raum für das Verständnis (traumatisierter) Kinder in der Gesellschaft besteht. Hier zeigt sich die übergreifende Frage: Wo beginnt gesellschaftliche Verantwortung für diese Kinder?
Ein Buch, das Hoffnung macht
Trotz aller Schwierigkeiten vermittelt „Zwischen mir und der Wand“ nicht nur die Strapazen, sondern vor allem die kleinen Erfolge, die es im Leben eines Pflegekindes gibt. Joachim Edward Krieger schildert auch die freudigen Momente – Ausflüge, Sommerurlaube und kleine Fortschritte, die Marcell macht. Diese Momente sind es, die Pflegeeltern Mut machen und zeigen, dass sich der Einsatz lohnt.
Das Buch erinnert daran, dass die Aufgabe von Pflegeeltern nicht darin besteht, ein „perfektes“ Kind zu formen, sondern ein Umfeld zu schaffen, in dem sich ein Kind sicher, angenommen und wertgeschätzt fühlen kann. Gerade für traumatisierte Kinder, die in frühen Jahren so viele Enttäuschungen erfahren haben, ist dies von unschätzbarem Wert.
Joachim Edward Krieger gelingt es in „Zwischen mir und der Wand“, ein persönliches und gleichzeitig gesellschaftlich relevantes Thema aufzugreifen. Das Buch ist nicht nur ein autobiografischer Bericht, sondern auch ein Appell: Ein Appell für mehr Verständnis und Unterstützung von Pflegefamilien und für mehr Sensibilität gegenüber traumatisierten Kindern. Es ist ein Buch, das Pflegeeltern Mut macht, sich ihrer Aufgabe zu stellen, und es ist ein Buch, das alle Leserinnen und Leser für die Herausforderungen dieser besonderen Familienkonstellationen sensibilisiert.
Ein Buch, das Hoffnung vermittelt und zeigt, dass sich Liebe, Geduld und Engagement lohnen – auch wenn der Weg oft steinig ist. Für alle, die sich mit dem Thema Pflegeerziehung, Traumatherapie oder sozialen Fragen beschäftigen, ist „Zwischen mir und der Wand“ eine absolute Leseempfehlung.